Biographie und Stadtgeschichte. Das Tagebuch der Eva Schiffmann  (1925-1930)

Vortrag von Prof. Dr. Anke John (Jena) im Rahmen der Vortragsreihe „Stadtgeschichte schreiben“, Mittwoch, 18.12.2019, 17.15-18.45 Uhr

„Seit es diesen Sommer so heiß war, geht alles ohne Strümpfe. Ich natürlich zuerst. Darob erregten sich die Keuschheitselemente in unserer Schule“, schreibt Eva Schiffmann am September 1929 in ihr Tagebuch. Zwischen 1925 und 1930 hat die damals 17-jährige Momente ihres Erwachsenwerdens in der thüringischen Kleinstadt Gotha festgehalten. Die insgesamt 91 Tagebuchseiten sind für die Geschichte einer Stadt in der Zeit der Weimarer Republik ein einzigartiges autobiographisches Zeugnis, dessen historische und geschichtsdidaktische Erschließung in einem Vortrag von Prof. Dr. Anke John von der Universität Jena am 18. Dezember 2019 präsentiert und anschließend zur Diskussion gestellt wird.

Erhalten ist mit dem Tagebuch der Selbstentwurf eines Teenagers mit den Ambivalenzen einer deutsch-jüdischen Identität. Die begabte Schülerin Eva will Lehrerin oder Jugendrichterin werden und ist doch hin- und hergerissen zwischen der Chance zu studieren und der zionistischen Jugendbewegung, die für die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates in Palästina eher auf handwerkliche Fähigkeiten baut. Überhaupt scheint Eva Schiffmann eine aufmerksame und politisch denkende Zeitgenossin zu sein. Sie lässt die Zöpfe für einen Bubikopf abschneiden, schreibt über Mode und rezipiert die offenere Sexualaufklärung ihrer Zeit. Sie liest viel und reflektiert über Literatur. Nicht zuletzt ist sie eine eifrige Kino- und Theatergängerin.

Mit dem Tagebuch lassen sich so Orte jüdischen Lebens und eine mit Kultur und Konsum wachsende städtische Öffentlichkeit Gothas in der Weimarer Zeit rekonstruieren: das Kino, die neue Reformschule oder die Vereinsfreizeit im Jungjüdischen Wanderbund.

Vom Lokalen und den individuellen Erfahrungen eines jüdischen Teenagers aus betrachtet stellt sich für die Weimarer Zeit auch die Frage, wie klar sich eine allgemein angenommene Spannung zwischen moderner Urbanität in den großen Metropolen und den Kleinstädten mit ihrer vermeintlichen Traditionsversessenheit eigentlich behaupten lässt.

Die Veranstaltung findet am Mittwoch, den 18. Dezember im Rahmen der Vortragsreihe „Stadtgeschichte schreiben“ der Forschungsstelle Stadtgeschichte Gotha und des Sammlungs- und Forschungsverbunds Gotha im Vortragssaal des Forschungszentrums Gotha im ehemaligen Landschaftshaus am Schlossberg 2 statt. Vortragsbeginn ist 17:15 Uhr. Der Eintritt ist frei, Interessierte sind herzlich willkommen.


Bildnachweis: Seite aus dem Tagebuch der Eva Schiffmann, Stadtarchiv Gotha. Die Rechte für das Tagebuch liegen bei den Erben der Autorin. Auskunft erteilt auf Anfrage das Stadtarchiv Gotha.

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